SPRECHSTUNDE

Tom Raczko ist gelernter Schauspieler, sein Gesicht sieht man allerdings eher selten. Dafür leiht er fremdsprachigen Kollegen seine Stimme. 

Volle Konzentration vom ersten Moment an. Genauigkeit. Und dann: eintauchen in die Szene, einfühlen in den Charakter. Tom Raczko liebt es, sich in andere hineinzuversetzen und in andere Rollen zu schlüpfen. Er ist Synchronsprecher und arbeitet nicht selten unter Zeitdruck. Oft erfährt er erst vor Ort im Studio, worum es eigentlich geht. Vorbereitung ist da oft schwierig bis unmöglich. Zu seinen Jobs in Berlin, München, Köln oder Düsseldorf reist Raczko deswegen am liebsten mit Bus und Bahn, diese Zwangspause in den öffentlichen Verkehrsmitteln hat sich der 25-Jährige freiwillig auferlegt.

Er genießt die Ruhe vor dem Sturm am Mikrofon. Durch den Einsatz von digitaler Software beim Synchronisieren hat sich die Arbeitsgeschwindigkeit in den vergangenen Jahren drastisch gesteigert. Zeit ist Geld. Tom Raczko kennt es nicht anders – und er arbeitet gerne auf Tempo. Das merkt man, wenn man sich mit ihm unterhält. Er spricht schnell, aber sehr kontrolliert, achtet auf seinen Sprachrhythmus. Mit seiner eigenen Stimme habe er sich schon sehr früh beschäftigt, so Raczko. Bereits im Kindesalter habe er damit angefangen, das Sprechen ganz bewusst zu gestalten.

Mit neun Jahren hat er schon die ersten Hörspiele gesprochen, kurz darauf dann als Synchronsprecher gearbeitet. „Lippensynchron, sprachlich ästhetisch und emotional der Szene entsprechend.“ Am wichtigsten seien die Labiale, also die Laute, bei denen hauptsächlich die Lippen eingesetzt werden. „Es soll ja am Ende die Illusion entstehen, dass die Person auf dem Bildschirm in meiner Sprache spricht“, so Raczko­. Einige seiner stimmlichen Vorbilder sind Frank Schaff (Ethan Hawke, Joseph Fiennes), Oliver Rohrbeck (Ben Stiller, Justus Jonas) und der 2014 verstorbene Peer Augustinski (Robin Williams).

Spoilern verboten
Wenn alles optimal läuft, so Tom Raczko, hört er seine eigene Stimme aus dem Darsteller auf dem Display sprechen. „Man kommt dann in so eine Art Fluss und wird eins mit der Rolle. Das macht wahnsinnig großen Spaß. Es ist wie Zauberei.“ Gerade erst hat er einer Figur in der Netflix-Serie „The Rain“ seine Stimme verliehen. Ein großes Thema, nicht nur bei internationalen Produktionen, ist die Verschwiegenheit über die Handlung. Sogenanntes Spoilern – also das Preisgeben von noch nicht veröffentlichten Details – kann einen den Job kosten. Tom Raczko: „Die Verleiher sind da sehr streng.“ Manchmal sehe man nicht einmal die ganze Szene, sondern nur einen kleinen Bildausschnitt, gerade so viel, dass man synchronisieren kann. Vor allem die älteren Synchronsprecher sind fast alle gelernte Schauspieler, heute sei diese Tradition etwas verlorengegangen, so Raczko. „Ich halte das Schauspielerische für das A und O.“

Einigen Regisseuren gehe es auch nicht in erster Linie um die Lippensynchronität, sondern um eine „emotionale Synchronität“. Er selbst hat eine klassische Schauspielausbildung an der Kölner Theaterakademie genossen. Später hat er parallel zum Studium das erste Synchronseminar eingeführt und als Dozent geleitet. In einigen Fällen, zum Beispiel, wenn es bei den Filmaufnahmen geregnet hat oder andere Störgeräusche den Ton unbrauchbar gemacht haben, müssen die Schauspieler auch mal selbst ans Mikro, um sich selbst nachzuvertonen. „Dann merkt man schon, ob derjenige auch synchron gelernt hat“, sagt Tom Raczko. Während am Filmset der Dialogpartner bereitsteht, muss man als Synchronstimme die Szene alleine in der dunklen Kammer nachfühlen. Für den Profi bietet diese Nachbearbeitung aber auch Raum für Optimierung: „Man kann sich ja voll und ganz auf die Stimme konzentrieren. Außerdem gibt es viele technische Möglichkeiten, um das beste Ergebnis herauszuholen.“

Eine große Ehre
Synchronsprecher arbeiten im Hintergrund, sie stehen in der zweiten Reihe, während die Schauspieler sich im Licht der Scheinwerfer sonnen. Innoffiziell wird dieser Teil der Filmbranche oft als Schattengewerbe bezeichnet. Tom Raczko braucht den großen Rummel um seine Person nicht, ihm reicht die Arbeit hinter den Kulissen. „Ich mache es nicht für den Ruhm, sondern weil es mir Spaß macht. So kann ich an Abenteuern mitwirken, bei denen andere nur zuschauen“, so sein Bekenntnis zum Beruf. Einer seiner Träume wurde dem jungen Wuppertaler erst kürzlich erfüllt: eine Sprechrolle in der US-amerikanische Fernsehserie „Shameless“. „Das war mir eine große Ehre, weil ich die Serie auch privat gerne schaue.“

Tom Raczko arbeitet nicht ausschließlich als Synchronsprecher. Unter anderem macht er Hörspiele, steht beispielsweise beim Wuppertaler Kinder- und Jugendtheater auf der Bühne, macht TV- und Radiowerbung. Eines seiner neuesten Projekte sind Live-Hörspiele – gewissermaßen das Gegenteil vom Vollplaybacktheater. Unter dem Namen blubb.Hörspiele tritt er zusammen mit Kollegen und Kolleginnen regelmäßig live auf. Zuletzt mit Andreas Steinhöfels Roman „Die Mitte der Welt“. Im Herbst 2018 und dann Anfang 2019 wird man das Ensemble vermehrt auf den Bühnen in NRW sehen.07