Leid und Herrlichkeit

Jeng Mercado im Atelier-Studio Barrio (Foto: Süleyman Kayaalp)

Das Atelier-Studio Barrio ist seit zwei Jahren in der Luisenstraße beheimatet. Im Innern geht Jeng Mercado ihrer Leidenschaft zur Fotografie nach. Fröhliche Gesichter sucht man auf ihren Bildern allerdings vergeblich.

Eine junge Frau mit leicht zerzaustem Kurzhaarschnitt, bekleidet mit einem schwarzen BH, im Mundwinkel eine glühende Zigarette. Das Schwarzweißbild wirkt roh, spontan und doch durchdacht komponiert. Man könnte meinen, es handelt sich um eine Hollywood-Schauspielerin oder eine berühmte Musikerin, die hier in einer provokanten Pose abgelichtet wurde. In Wirklichkeit ist es ein Model aus Wuppertal. Darunter stehen die Worte: „Saint or sinner? they asked. Both! I replied. Truth or dare? I asked and smiled in silence …“ Insgesamt 216 Personen haben digital ihre Begeisterung via Klick aufs Herzchen bekundet. Der Instagram-Account von Jeng Mercado ist prall gefüllt mit Fotos dieser Art. Beinahe täglich kommen neue hinzu. Der Mensch als Leitmotiv – nie glatt und perfekt, sondern mit all seinen Brüchen, Emotionen und seinem Leid. Intim, melancholisch, dramatisch. Das Unperfekte ist es, was die Wuppertalerin interessiert, manchmal kombiniert mit einer gewissen Obszönität. Einige ihrer Bilder hängen ganz analog und sauber gerahmt an den Wänden in ihrem Atelier-Studio Barrio in der Luisenstraße.

Intuition und Sympathie
Jeng Mercado hatte schon so einige Menschen aus Wuppertal und der Umgebung vor der Linse. Manche davon aus der lokalen Kulturszene, so zum Beispiel Tänzer des Pina Bausch Ensembles, die Musikerin Maria Basel oder Horst Wegner. Andere stehen für gewöhnlich nicht im Rampenlicht und doch entlockt die 38-Jährige den Menschen mit ihrer Kamera intime Momente, die eine ganz eigene Stimmung erzeugen. „Ich kann keine fröhlichen Gesichter fotografieren, das berührt mich einfach nicht. Mich reizt das Melancholische“, sagt Mercado.

Die Kontakte zu ihren Fotomodels kommen in den meisten Fällen über Facebook oder Instagram zustande. „Wenn ich jemanden entdecke, der mich irgendwie anspricht, der eine gewisse Tiefe hat, dann schreibe ich einfach eine Nachricht“, so Mercado. Platte Oberflächlichkeit und künstliche Inszenierungen in den Sozialen Medien schrecken die Fotografin dabei eher ab. Sie verlässt sich schlicht auf ihre Intuition und auf Sympathie. Viele enge Freundschaften seien durch die Fotoshootings bereits entstanden.

In der letzten Zeit habe sie hauptsächlich im Studio fotografiert, sich voll und ganz dem Menschen vor der Kamera gewidmet. Ohne jeg­liche Ablenkung von außen. Für die Zukunft wünscht sie sich noch mehr Shootings außerhalb der eigenen Komfortzone. Gelernt hat sie ihr Handwerk an der Digitalkamera übrigens im Rahmen eines Studienjahrgangs an der Kölner Uni. Alles darüber hinaus hat sie sich selbst beigebracht.

Hauptberuflich arbeitet Jeng Mercado als Krankenschwester in der Intensivpflege, ihre Leidenschaft für die Fotografie lebt sie in ihrer Freizeit aus. „Dadurch habe ich wesentlich mehr Freiheiten und muss mich nicht mit Bewerbungsfotos oder so über Wasser halten. Ich mache nur, was ich wirklich will, das ist mein Luxus.“ Außerdem, so Mercado, gebe ihr die Arbeit im Krankenhaus einen gewissen Rückhalt.

Frei und selbstbestimmt
Die poetischen Texte, mit denen Jeng Mercado ihre Bilder im Netz versieht, verleihen den Fotos eine zweite Ebene, einen emotionalen Kontext. Mal handelt es sich dabei um Zitate, die ihr besonders gut gefallen, mal dichtet sie selbst. Die Ideen dazu kommen ihr oftmals bei der Bearbeitung und Auswahl der Fotos. „Wenn man die Bilder in großem Format auf dem Bildschirm sieht, sind das oft magische Momente. Manchmal bekomme ich Gänsehaut oder es fließen sogar ein paar Tränen, weil ich in dem Augenblick erkenne, was das Bild mit mir macht.“ Oft sind es Zeilen, die inhaltlich einen feministischen Ansatz verfolgen, die die Stärke der abgelichteten Models hervorheben oder auch dessen Verletzlichkeit. Frauenpower ist für Jeng Mercado ein wichtiges Element in ihrer Arbeit. Oder besser gesagt Selbstbestimmung in jeglicher Form. So sucht Mercado auch oft die Nähe zu schillernden Persönlichkeiten, gerne auch aus der LGBTQI-Community. Ein Grund, warum sich die Wuppertalerin beizeiten lieber in größeren Städten wir Köln oder Berlin aufhält, die diesbezüglich einfach eine größere und lebendigere Szene haben. „Mich fasziniert der Freiheitsgedanke. Das sind meist sehr feinsinnige Menschen, die mehrere Dinge verkörpern.“

Auf der Suche
Wuppertal ist ihr Geburtsort und das Luisenviertel ihre Heimat. Trotzdem zieht es die junge Künstlerin immer wieder an andere Orte und in ferne Länder. Bei ihren Reisen hat sie unter anderem Barcelona, die USA, Tel Aviv, die Philippinen und Sri Lanka besucht. „Ich habe ziemlich schnell Fernweh“, sagt Jeng Mercado. „Ich wohne zwar in Wuppertal, aber ich lebe woanders. Ein Teil von mir ist immer auf der Suche.“ Aktuell ist das Reisen natürlich schwierig, ihr nächstes Wunschziel hat sie dennoch bereits im Blick: Es soll nach Afrika gehen. „Je unterschiedlicher die Kultur, desto spannender“, sagt sie. In Zukunft will sie auch mit ihren Bildern noch radikalere Wege gehen.