Leises Land

An der Musikhochschule stammt über die Hälfte der Studierenden aus dem Ausland. Wie nehmen die Musiker Wuppertal wahr?

Wuppertal ist so still. Richtig ungewohnt. Manchmal sogar beängstigend leise – das finden Musikstudenten, die aus Asien, Lateinamerika oder Russland nach Wuppertal gekommen sind. „In Caracas herrscht immer Chaos, es gibt ständig Musik – im Bus, in der U-Bahn, auf der Straße, irgendwo macht immer jemand Party“, erzählt Leonardo Pedroza Cabrera aus Venezuela. „Am Anfang hatte ich so ein Fiepen im Ohr, weil es hier so leise ist – aber irgendwann fand ich die Stille sehr angenehm.“ Die anderen pflichten ihm bei: „Es dauert drei Monate, bis das Fiepen weg ist“, bestätigt Olga Riazantceva aus Russland. Und Liying Zhu aus China ergänzt: „Hier braucht man gar keinen Wecker, weil man morgens die Vögel singen hört.“ Die Ruhe sei für die Musikstudenten jedoch sehr hilfreich: „Man wird sensibler, hört mehr an sich selbst“, sagt Liying Zhu.

Wuppertaler Winter

Fiona Krista Sentosa aus Indonesien wunderte sich besonders an Weihnachten über die Leere auf der Straße: „Ich dachte: Wird hier gar nicht gefeiert?“ Sie kennt es, dass sich an großen Feiertagen Nachbarn und Freunde besuchen, dass auf den Straßen Leben herrscht. Milos Milicevic aus Serbien und Olga Riazantceva feiern dafür Weihnachten und Silvester gleich zweimal: einmal nach deutscher Tradition und einmal nach dem russisch-orthodoxen Kalender. Einig sind sich jedoch alle: „Der Advent in Deutschland ist sehr schön, vor allem die Weihnachtsmärkte. Komisch nur, dass die alle vor Weihnachten enden!“ Fiona Krista Sentosa liebt überhaupt den Wuppertaler Winter: „Hier ist es so angenehm kalt – ich fühle mich immer so heiß. In Indonesien ist das Wetter langweilig, dort gibt es nur Regenzeit und Trockenzeit.“

Gut organisiert

Hochzufrieden sind die ausländischen Studenten mit dem Wuppertaler Nahverkehr. „In China gibt es keinen Busplan – man hat keine Ahnung, wann der Bus kommt“, erzählt Liying Zhu. Das koste viel Zeit. Diese Erfahrung teilt Cabrera mit ihr: „In Venezuela könnte man gar nicht pünktlich sein, weil die Verkehrsmittel nicht funktionieren.“ „Die Dozenten hier sind immer pünktlich – das gefällt mir besonders gut“, findet auch Milicevic. Am Anfang waren die Neuankömmlinge überrascht, dass in Deutschland überall Termine vereinbart werden – doch bald wussten sie das System zu schätzen. „Alle sind so gut organisiert hier.“ Nur eine Tatsache verblüffte alle: dass hier sonntags die Geschäfte geschlossen sind. Viele sind aus ihren Heimatstädten gewohnt, dass die Läden bis spät in die Nacht und sieben Tage pro Woche offen haben. „Aber so ist es auch gut – dann geht man nur zweimal pro Woche einkaufen und plant besser, was man braucht“, findet Olga Riazantceva.

Liying Zhu fiel erst hier in Deutschland auf, dass das Essen in ihrer Heimat eine große Rolle spielt: „In China fragt man immer zur Begrüßung: ,Hast Du schon gegessen?‘ Hier isst man so schnell – und immer nur Brötchen.“ Doch mittlerweile lieben alle aus der Gruppe die deutschen Brötchen. „Die würde ich in Russland vermissen“, sagt Olga Riazantceva. Cabrera war zu Beginn von den deutschen Essens-Gepflogenheiten über­rascht: Als er zu einer Party um 20 Uhr eingeladen war, kam er nach südamerikanischer Tradition gegen 22 Uhr. „Da war schon alles aufgegessen.“ Alle Studenten schätzen das internationale Flair der Musik­hochschule und die gute Gemeinschaft. „Wir sind wie eine große Familie, und die Professoren sind alle so nett.“ An der kleinen Hochschule kennt jeder jeden.

Modell fürs Zusammenleben

97 von 182 Studierenden der Wuppertaler Musikhochschule stammen aus dem Ausland. Das Land von Mozart, Beethoven und Brahms gilt weltweit als attraktives Ziel für Musiker. Zudem ist das Ausbildungs­niveau hier hoch und das Studium bisher kostenlos. „Wir haben auch Dozenten, die perfekt Spanisch sprechen und viele Kurse beispielsweise in Südamerika oder Portugal geben“, erzählt Lutz-Werner Hesse, Leiter der Musik­hochschule. Das zieht natürlich Studenten an. „Allerdings sind es durch unseren musik­pädagogischen Schwerpunkt längst nicht so viele wie an anderen Musikhochschulen.“

Wer das Studium beginnen will, muss seine deutsche Sprachfähigkeit nachweisen. Zusätz­lich bietet die Musikhochschule begleitende Aufbau-Sprachkurse an. Gerade die offenen Südeuropäer prägen das Gemein­schafts-leben: „Das ist unglaublich bereichernd“, betont Hesse. „Die Musikhochschule ist ein Modell für friedliches Zusammenleben vieler Kulturen.“

von Tanja Heil