Schach im Kopf

Die Illustratorin Ulrike Möltgen ist gebürtige Wuppertalerin, besonders wichtig ist ihr diese Eigenschaft allerdings nicht. Sie taucht lieber in die bunte Welt ihrer Collagen ab.

Hündin Maya bellt aus voller Kehle, als Ulrike Möltgen die Haustür öffnet. „Das ist gleich wieder vorbei“, sagt sie beim Betreten ihrer Wohnung im Herzen des Quartiers Mirke. An den Wänden hängen zahlreiche Entwürfe, Collagen, Erinnerungsstücke – an ihre Studienzeit bei Wolf Erlbruch, an abgeschlossene Projekte. Der Mondbär ist nicht zu sehen.

„Ich habe irgendwann mal gelesen, dass nur dumme Menschen an ihrem Heimatort bleiben. Deswegen wollte ich lange Zeit hier weg. Ich dachte, wer klug ist, der zieht weg.“ Reisen gehört bis heute nicht unbedingt zu Ulrike Möltgens Lieblingsaktivitäten. Die Illustratorin fühlt sich wohl in Wuppertal, auch wenn der Bezug zur Heimat für sie im Alltag keine Rolle spielt. Die ganze Heimatdiskussion geht ihr mehr oder weniger auf die Nerven. „Kölner zum Beispiel reden ja besonders gerne über ihre Stadt. In meinem Tagesablauf kommt Wuppertal nicht vor – es ist einfach da.“ Hier wurde sie geboren, hier hat sie ihre Wurzeln, hier lebt und arbeitet sie. Und hier wurde auch der Mondbär erfunden, eine der wohl populärsten Figuren an der die 44-Jährige mitgearbeitet hat. Rund siebzehn Jahre lang hat sie sich damit auseinandergesetzt, gemeinsam mit ihrem vor acht Jahren verstorbenen Lebenspartner Rolf Fänger. Ihr Sohn Konrad ist inzwischen dreizehn.

Schere, Scanner, Papier

Über 50 Kinder- und Bilderbücher sind bislang mit Ulrike Möltgens Werken veröffentlicht worden, mehrfach wurde sie dafür ausgezeichnet. Meistens sind es Collagen. Wenn sie gerade aktiv an einem Projekt arbeitet, ist der gesamte Holzdielenboden ihrer Wohnung mit Entwürfen und Material bedeckt. Was nicht bedeutet, dass sie ihre eigene Arbeit nicht wertschätzt, sogar Hündin Maya weiß, dass sie nicht einfach darauf herumlaufen darf. „Eigentlich hält sie sich daran, aber je älter sie wird, desto dreister wird sie. Das muss Alterssturheit sein, oder so“, sagt Möltgen und lacht. Heute liegen einige Ausdrucke aus dem Farbdrucker auf dem Boden. Es sind Bilder für ihr neues Buch, „Kleider machen Leute“ von Gottfried Keller, dessen zweihundertster Geburtstag im nächsten Jahr gefeiert wird. Ein Projekt ganz nach dem Geschmack der Illustratorin. Auch wenn sie schon komplett eigene Geschichten veröffentlicht hat, ist ihr das Arbeiten entlang von fertigen Texten lieber. Das sei wesentlich einfacher. „Man muss auch so schon genug durchboxen“, so die alleinerziehende Mutter.

Weil das professionelle Abfotografieren ihrer Collagen nicht immer zum gewünschten Ergebnis führt  – oft verwendet sie glänzenden Folien, die dann unschön reflek­tieren –, hat sie sich für rund 70 Euro einen einfachen Scanner besorgt und diesen Arbeitsgang kurzerhand mit in den kreativen Prozess übernommen. „Ich will nicht, dass man das Material so sehr sieht. Das bringt nichts. Dann bleibt man daran hängen. Mir ist wichtig, dass diese Ästhetik des Selbstgemachten nicht so in den Vordergrund rückt. Das wird schnell langweilig“, so Möltgen.

Langeweile kommt bei ihren Bildern bestimmt nicht auf. Bunte Schnipsel, fein säuberlich ausgeschnittene, filigrane Elemente aus den unterschiedlichsten Materialien, Folien, mal mehr, mal weniger transparent. Lebendige Bilder mit unzähligen Ebenen, die ineinander verschachtelt zu sein scheinen. Die verschwinden beim Abdruck in den Büchern, zurück bleibt nur das reine Motiv. Die Originale sind für Ulrike Möltgen letztlich nur Arbeitsmaterial, dabei könnten sie durchaus als eigene Kunstwerke durchgehen. Die Illustratorin sieht das anders: „Es gibt ja schon ein Buch davon. Für mich ist das das Wichtigste. Da brauche ich die Originale nicht mehr.“

Zuletzt hat sie Tuschezeichnungen angefertigt für Judith Burgers Buch „Gertrude Grenzenlos“, das Anfang des Jahres im Gerstenberg-Verlag erschienen ist. Im Herbst 2018 erscheint „Das Geschenk der Weisen“ im Insel-Verlag. Im letzten Jahr wurden insgesamt fünf Bücher veröffentlicht. „Da
hatten sich einige Projekte angestaut“, sagt
Ulrike Möltgen. In der Regel brauche sie etwa drei Monate, um die Motive für ein Bilderbuch fertigzustellen.

Faszination und Hingabe

„Wenn es richtig gut läuft“, vertieft sie sich voller Hingabe in ihre Arbeit. Fünfzehn Stunden am Stück sind es manchmal. Mit einer beinahe kindlichen Faszination taucht sie dann in die Geschichte ein, in das Material. Raum und Zeit werden dann zur Nebensache. Oft beiße sie zwischendurch in ein Stück Käse, um das Prozedere der Nahrungsaufnahme so schnell wie möglich zu erledigen und sich wieder ihren Bildern widmen zu können, erzählt Möltgen. Der kreative Prozess ist dabei jedes Mal eine Herausforderung, die sie antreibt und motiviert: „Das Material arbeitet gegen mich. Man hat einen Plan im Kopf, wie das alles aussehen soll, und am Ende kommt doch etwas Anderes dabei raus. Wie Schach spielen gegen sich selbst.“ Das Spiel der Farben, die Schnipsel, die immer neuen Geschichten. Für Ulrike Möltgen ist es ihr Traumberuf.