In der Marlene sind alle Menschen willkommen – auch Sünder, so steht es zumindest auf einem Schild, das hinter dem Tresen hängt. Der herzliche Empfang von Uwe Dresen lässt keinen Zweifel an dieser Aussage.
Man weiß gar nicht, wo man als erstes hinschauen soll. Wer die Klinke des denkmalgeschützten Hauses in der Hochstraße 43 betätigt und durch die schwere Holztür ins Innere tritt, der betritt eine eigene Welt. Es ist die Welt von Uwe Dresen. Das urgemütliche Wirtshaus gleicht einer Collage, die über die letzten 34 Jahre gewachsen ist. Reizüberflutung trifft auf ein Gefühl von Geborgenheit. An der Decke hängen alte Plakate von Marlene-Dietrich-Filmen und Ventilatoren, behangen mit Luftschlangen, die noch von der letzten Silvesterparty zeugen, wie Inhaber Dresen bemerkt. „Bis Karneval bleiben die noch hängen.“ Überall im Raum Mitbringsel, Fundstücke, Engelsfiguren, eine große Vitrine mit alten Schlüsseln, noch mehr Plakate, ein Schild mit der Aufschrift „Alle Sünder willkommen“ und zahlreiche gerahmte Bilder, viele mit dem Antlitz der Namensgeberin Marlene Dietrich.
Für die Wuppertaler LGBT-Szene ist die Marlene die erste Anlaufstelle, für alle anderen ist sie schlichtweg eine Kultkneipe par excellence. Der Raum zieht sich bis weit nach hinten durch, viel weiter, als man von draußen vermuten würde. Im hinteren Teil befindet sich die Bühne, obwohl, so Dresen, „hier wurde schon überall gespielt“. Zuletzt hat das Ensemble des Wuppertaler Schauspielhauses in der Marlene ein Gastspiel gegeben. Demnächst, Ende Mai, wird das Opernhaus im Rahmen der Reihe „Sound of the City“ hier auftreten. Dabei sollen auch die insgesamt drei Klaviere und zwei Flügel, die im Laden verteilt aufgestellt sind, zum Einsatz kommen. „Bin schon gespannt, wie sie die alle gestimmt kriegen“, sagt der Inhaber.
Im letzten Jahr landete die Szenekneipe sogar in Sibyl Quinkes Buch „Glücksorte in Wuppertal“. Uwe Dresen steht dort, wo er immer steht: hinter dem Tresen. Hier ist seine Bühne. Hier fühlt sich der Kneipier im Frauengewand sichtlich wohl. Obwohl er sich eigentlich immer wie auf einer Bühne fühlt, Dresen ist schlichtweg eine Erscheinung – eine besonders herzliche noch dazu. Ein Wuppertaler Original, hier geboren, hier aufgewachsen. „Wenn ich den Rathaustturm nicht sehe, werde ich ganz nervös“, sagt der Kneipier und lacht. Die Nordstadt ist sein Kiez. Die genaue Verortung ist ihm wichtig: „Hinter der Hochstraße fängt der Ölberg an, hier ist die Nordstadt“, sagt er.
Direkt hinter dem Tresen befindet sich Dresens „Großraumbüro“, wie er sagt. In dem vielleicht drei Quadratmeter großen Raum scheint sich die Collage Marlene noch einmal zu verdichten. Kein Stück Wand ist mehr zu sehen, stattdessen Plakate, Zettel, Werbeschilder, Aufkleber und und und.
Meine Kinder
Nach den Höhepunkten der Marlene befragt, holt Uwe Dresen drei zum Bersten gefüllte Gästebücher aus seinem Büro und platziert sie behutsam auf dem großen Tresen. „Irgendwann kommen sie alle“, so Dresen. Wenn man ihm zuhört, hat man den Eindruck, er kennt ganz Wuppertal mit Namen. Die sprudeln aus ihm heraus, als wenn jeder und jede gute Freunde wären. Und es würde nicht verwundern, wenn dem tatsächlich so wäre. Dabei hätte Dresen den Laden am liebsten direkt nach der Eröffnungsfeier 1985 wieder zugemacht: „Die standen in drei Reihen vor dem Tresen und eine Putzfrau hatte ich ja auch noch nicht, das war furchtbar“, erzählt Dresen. Es kam anders. Ursprünglich sollte die Kneipe „Skandal“ heißen, aber damals war der Begriff eng mit der Punkszene verknüpft, das passte dann doch nicht. Obwohl die Marlene auch schon mal als Ersatz-Location für ein Punkkonzert herhalten musste, das eigentlich im Autonomen Zentrum stattfinden sollte. „Da war was los. Aber nach einer halben Stunde war das Konzert schon zu Ende“, erinnert sich Dresen.
Lieber sind ihm die regelmäßig stattfindenden Bühnenveranstaltungen im Stil der 20er Jahre. Kaum eine Kneipe im Tal ist so eng mit dem jeweiligen Inhaber verknüpft. „Die Leute nennen mich ständig Marlene“, beschwert sich der Inhaber. Seit einiger Zeit hat er sich jedoch Stück für Stück aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen und steht jetzt nur noch an drei Tagen in der Woche hinter dem Tresen. Auf seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die das ermöglichen, ist er deshalb auch besonders stolz. „Meine Kinder kümmern sich um alles“, sagt Dresen und meint damit das tatkräftige Marlene-Team. Uwe Dresen und seine Marlene, das ist ein kleines bisschen wie ein Spiegelbild von Wuppertal – gewissermaßen eine Schönheit auf den zweiten Blick. Nur etwas glamouröser und mit Schminke.