Kein leichtes Spiel

Dass es beim Spieleentwickeln auf mehr ankommt als programmieren,
kann man sich vorstellen. Dass man sich auch mal mit der Physik eines
Kernreaktors auseinandersetzen muss, vermuten wohl die wenigsten.
Katharina und Daniel Schemann können ein Lied davon singen.

Tutorial
Wer Spieleentwickler werden will, muss einiges drauf haben und noch mehr lernen. In der Videospiele-Branche geht es nicht nur darum, immer auf der Höhe der Zeit zu bleiben, wenn es um technische Weiterentwicklungen geht. Nicht zu unterschätzen ist der Bezug zur Realität. Und natürlich der Bruch mit dieser. Wie bewegt sich Wasser? Wie fällt man einen Baum? Was passiert mit Gras, wenn es von einem Flammenwerfer getroffen wird? Wie verhält sich ein Kernreaktor in Extremsituationen? Wie sahen die Germanen früher aus? Immer wieder muss man sich mit den unterschiedlichsten Gegebenheiten im realen Leben auseinandersetzen, um daraus neue Welten erschaffen zu können. „Ein ausgeprägtes All­ge­mein­wissen hilft ungemein“, sagt Daniel Schemann, der zusammen mit seiner Frau Katharina und deren Bruder die Indie-Spieleschmiede SilentFuture leitet. Jacky, der quirlige Büro-Hund, vervollständigt das Team.

Der Bruder, so Katharina Schemann, habe Physik studiert und sein Wissen bereits öfter sinnvoll einsetzen können. Die 32-Jährige selbst ist in dem Familienbetrieb für den grafischen und konzeptionellen Bereich verantwortlich. Angefangen hat für sie alles mit Tetris, deshalb könne sie heute so gut puzzeln, meint sie. Daniel Schemann kümmert sich eher um den programmiertechnischen Part. Seine Obsession für Videospiele hat mit einem Commodore 64 (ein 8-Bit-Heimcomputer mit 64 Kilobyte Arbeitsspeicher) begonnen. Eine seiner ersten selbstprogrammierten Anwendung war ein Voka­beltrainer für den Englischunterricht.

Erstes Level
Wer in der umkämpften Branche Fuß fassen will, sollte unbedingt beides beherrschen, gibt das Ehepaar zu bedenken. Und: Wer das Spielen zum Beruf macht, der unterscheidet nicht zwischen Job und Hobby. Man macht einfach – und hört nicht mehr auf. Folgerichtig arbeiten und schlafen die Schemanns auch unter einem Dach, wobei für das Büro eine eigene Etage angemietet wurde. Spielen, das bedeutet für die beiden gebürtigen Wuppertaler abtauchen in andere Welten. Dinge erleben, mitfiebern. Emotionen stehen im Mittelpunkt. Die Details sind dabei entscheidend, sagt Katharina Schemann. „Mit ihnen wird die Story erst glaubwürdig.“ Auch die Psychologie spielt eine wichtige Rolle. Wie verleiht man einer eher simplen Tätigkeit wie zum Beispiel einen Knopf auf dem Joypad drücken eine Spannung? Wie wird Belohnung gesteuert? Mit diesen Fragen setzen sich die Entwickler immer wieder auseinander.

Zwischensequenz
An der Wand im SilentFuture-Büro hängen fein säuberlich aufgereiht diverse bunte Nerf-Waffen. Die trendigen Plastikgebilde in modularer Bauweise verschießen weiche Schaumstoffgeschosse und gehören quasi zur Grundausstattung von spielaffinen Nerds. Ein schlichtes Regal, prall gefüllt mit Büchern zum Thema Programmierung, nimmt fast eine ganze Wand ein. Unzählige technische Spielereien und Equipment, wohin das Auge blickt. Ein Mini-Nintendo, ein digitales Zeichentablett, diverse VR-Brillen, Controller, Kabel. Am Arbeitsplatz von Daniel Schemann sind sechs verschieden große Monitore installiert. Als wolle er ein Raumschiff in den unendlichen Weiten des Weltalls navigieren. In der Küche stapeln sich palettenweise Cola-Zero und Energydrinks. Manche Klischees sind schlicht keine.

„Auf Twitch haben wir einem Franzosen beim Spielen zugesehen. Der konnte gar nicht mehr aufhören, so sehr hat ihn das gefesselt.“

Zweites Level
Auf sogenannten Game-Jams treffen sich Spieleentwickler, um zu einem vorgegebenen Thema in einem begrenzten Zeitraum – meistens 24 bis 72 Stunden – ein Spiel zu planen, designen und zu entwickeln. „Da werden neue Ideen geboren“, sagt Katharina Schemann. „Man wird gezwungen, sich außerhalb der eigenen Komfortzone zu bewegen. So entsteht oft etwas ganz Neues, auf das man vorher nicht gekommen wäre.“ Ein weiterer Vorteil sei der kreative und vor allem professionelle Austausch mit Gleichgesinnten. Wertvolles Feedback für die weitere Entwicklung. „Auf der letzten Game-Jam haben wir ein Spiel entwickelt, in dem man seinen Weg aus einem dunklen Minenstollen finden muss. Nur bewaffnet mit einer Taschenlampe und verfolgt von einem nicht sichtbaren Monster“, erzählt Daniel Schemann. Die spontane Spielidee sei gut angekommen. „Auf Twitch haben wir einem Franzosen beim Spielen zugesehen. Der konnte gar nicht mehr aufhören, so sehr hat ihn das gefesselt“, freut sich der 39-Jährige.

Endgegner
„Computerspiele werden immer noch zu wenig als eigenes Medium gedacht“, sagt Katharina Schemann. Bei SilentFuture entwickelt man neben den eigenen Spielen auch Anwendungen für die Industrie. Zum Beispiel für Messen oder ganz konkret für den Einsatz in der Produktion. „Das wird immer häufiger nachgefragt, weil sich vor Ort meist keiner damit auskennt.“ Auch in anderen Branchen wie Medizin oder Pädagogik steht die sogenannte Gamifikation – die Anwendung spiel­typischer Elemente in einem neuen Kontext – gerade am Anfang. Die zwei großen, zukunftsweisenden Themen der Branche sind Virtual Reality und Augmented Reality. Beide geistern schon seit Jahren durch den Markt, der große Durchbruch blieb bislang aus. „Ein Freund von uns hat eine Art Virtual-Reality-Café entwickelt, in dem man mit mehreren Personen, die alle mit VR-Brillen ausgestattet sind, interagiert. Das läuft ganz gut“, so Daniel Schemann. Ein weiterer Schritt in Richtung des aus der Science-Fiction-Serie Star Trek bekannten Holodecks. „Das ist der heilige Gral“, sagt Schemann. Und eine Sache steht für den Selbstständigen ohnehin fest: Die Zukunft gehört den Games, denn „gespielt wird immer.“