Die traditionelle persisch-arabische Kalligraphie ist eng mit dem Islam verknüpft. Heute steht die Ästhetik im Vordergrund. Ihr Einfluss auf die europäische Kunst ist seit den Anfängen der Moderne sichtbar. Hassan Hashemi über Tradition und Gegenwart.
Für ungeübte, europäische Augen wirkt persisch-arabische Kalligraphie wie ineinander verschlungene Linien aus einer anderen Welt. Ästhetisch und doch fremd – für manche Betrachter vielleicht sogar bedrohlich. Inhaltlich handelt es sich dabei meist um sogenannte Suren, kurze Absätze aus dem Koran, vergleichbar mit den Versen in der Bibel. Islamische Kalligraphie ist per Definition eine abstrakte, auf Sprache basierte Kunstform. In der traditionellen Variante geht es dabei immer um die präzise Ausführung und um einen vorgegebenen Rhythmus. Jeder Schwung, jeder Strich hat eine ganz bestimmte Länge. Es existieren exakte Regeln der Verwendung, die jeder Kalligraph zuallererst verinnerlichen muss.
Schrift im Bild
Darüber hinaus gibt es unzählige Schriftarten, deren Namen klingen wie aus 1001 Nacht: Kufi, Naskhi, Talik oder Thulut. „Im Prinzip nichts anderes als heutige, westliche Schriftarten, wie sie auch in jedem Textverarbeitungsprogramm zu finden sind“, erklärt der Künstler und Galerist Hassan Hashemi. Der seit 1986 in Wuppertal lebende und arbeitende Iraner beschäftigt sich seit seiner Jugend mit islamischer Kalligraphie. Aktuell betrachtet er vom wissenschaftlichen Standpunkt aus die Einflüsse auf die westliche Kunstwelt. „Die Kufi ist die älteste der arabischen Schriftarten – und die bekannteste. Wenn man so will, die Arial des 14. Jahrhunderts.“ Und genau wie bei den heimischen Schriften, gibt es auch dort verschiedene Schriftarten, die dem Schriftbild einen ganz individuellen Charakter verleihen. Die auf Arabisch „Khat“ genannte Schreibkunst war lange Zeit die vorherrschende Kunstform unter den bildenden Künsten in der islamischen Welt. Ein Grund dafür ist das Bilderverbot im Islam. „Menschen dürfen nicht realistisch dargestellt werden, abstrakte Formen sind aber erlaubt“, erklärt Hassan Hashemi.
Die arabischen Kalligraphen sehen in ihrer Schreibkunst die „Geometrie der Seele“ widergespiegelt. Die Bezeichnung „Kalligraphie“ stammt allerdings aus dem Griechischen (kalós = schön, gráphein = schreiben, Kunst des Schönschreibens). Die spezielle persisch-arabische Kalligraphie wird auch als Khat al Arabi (die arabische Linie) übersetzt. Charakteristisch sind dabei nicht nur die Linienführung, sondern auch die Verbindungen der einzelnen Buchstaben miteinander sowie die Schreibrichtung von rechts nach links. Im Gegensatz zur chinesischen oder japanischen Ausprägung geht es bei der traditionellen islamischen Kalligraphie nicht um eine impulsive Handschrift, im Vordergrund steht vielmehr die exakte Umsetzung. Darüber hinaus werden die Schriftzeichen dazu genutzt, um figürliche Motive zu formen, die gemäß Islam verboten sind.
Inspiration
Hassan Hashemi hat 1984 sein Diplom an der Kunsthochschule in Teheran gemacht, anschließend studierte er freie Kunst in Köln und Kommunikationsdesign in Wuppertal. Er hat bereits früh damit angefangen, sich mit der kalligraphischen Tradition seines Heimatlandes auseinanderzusetzen. „Die Kunst der Linie“, wie er es nennt. „Früher war Kalligraph ein ganz normaler Beruf, ein Kunsthandwerk.“ Die Schrift wurde und wird dabei als Gebrauchsgrafik eingesetzt. Doch der Einfluss dieser traditionellen Kunstform reicht weit über diese Anwendung hinaus: Wesentliche Elemente aus der arabischen Kalligraphie finden sich bis heute in der europäischen Kunst oder im Grafikdesign wieder. Losgelöst von der ursprünglich strengen islamischen Lehre entfaltet sich die Kunst der Linie aktuell sogar zu einer neuen stilistischen Spielart.
Tradition und Moderne
„Die freie Verwendung ist definitiv ein aktueller Trend, beispielsweise im Bereich Tattoos. Wahrscheinlich auch, weil die arabische Kalligraphie schwungvoll ist, eine sehr musikalische Schrift“, berichtet Hashemi. Aber ihr Einfluss ist keineswegs ein Phänomen der heutigen Zeit. Die Liste derjenigen, die sich in der Vergangenheit inspirieren ließen, ist lang: dazu zählt zum Beispiel Paul Klee. Im April 1914 sammelte dieser seine Einflüsse dafür während seiner legendären Tunisreise. Zusammen mit den Malerfreunden August Macke und Louis Moilliet bereiste er für knapp zweieinhalb Wochen die Hauptstadt Tunesiens. Ein kunsthistorisches Schlüsselereignis des 20. Jahrhunderts. Nicht nur das Licht und die leuchtenden Farben des Orients beeinflussen den Maler und seine Kollegen, sondern eben auch die abstrakte Formsprache der Kalligraphie, die nach dem Aufenthalt in Tunis immer wieder in abgewandelter Form in seinen Bildern auftaucht.
Viele weitere Künstler setzten sich in der Vergangenheit mit den Schriftzeichen aus dem Orient auseinander. Der russische Maler und Kunsttheoretiker Wassily Kandinsky beschäftigte sich lange Zeit mit der Schrift als künstlerisches Element und folgerte: „Buchstaben sind praktische und nützliche Zeichen, aber ebenso reine Form und innere Melodie.“ Picasso entwickelte einen ganz eigenen Ansatz, um die ornamentale Ästhetik in einigen seiner Bilder zu verwenden. Er soll sogar einmal gesagt haben: „Wenn ich gewusst hätte, dass es so etwas wie die islamische Kalligraphie gibt, hätte ich nie zu malen begonnen.“ Weitere Beispiele aus der Gegenwart sind unter anderem die Werke der Künstler A. R. Penck oder Keith Haring, die sich ebenfalls an der Schrift als Quelle der Inspiration bedient haben.
Auch Hassan Hashemi versucht sich in seiner Kunst an der Fusion von Tradition und Gegenwart. In einigen seiner Bilder verarbeitet er seine iranischen Wurzeln, indem er kalligraphische Elemente mit abstrakter Malerei vereint. Eine sehr ästhetische Verbindung, die in unsere Zeit passt. Und die Frage nach dem Inhalt der Schriftzeichen stellt sich dann auch nicht mehr. Was zählt, ist die reine Form.