OJAI – das ist die Abkürzung für Office for Joint Administrative Intelligence und der gewollt bürokratisch anmutende Name der Künstler-Kooperation von Christine Dreier und Gary Farrelly. Das Duo tritt als selbstverwaltete Institution auf. Mit allen dazugehörigen Eigenschaften.
Das Office for Joint Administrative Intelligence wurde 2015 gegründet und ist die künstlerische Heimat von Chris Dreier und Gary Farrelly. Erstere wurde 1961 in Wuppertal geboren und lebt aktuell in Berlin. Gary Farrelly stammt aus Irland und arbeitet in Brüssel. Zu Beginn der Freundschaft produzierte man als Zweimannband Soundcollagen und Musique concrète. Schnell wurde die Beziehung intensiviert. Zentraler Punkt der heutigen Zusammenarbeit ist die gegenseitige Korrespondenz der beiden. Über 500 Briefe und Postkarten dokumentieren den regen Austausch – und werden gleichzeitig zu einem wichtigen Teil des künstlerischen Werks erhoben.
Wie es sich für eine offizielle Institution gehört, wird alles nach bürokratischen Standards strukturiert, organisiert und archiviert. Das ist keineswegs ironisch gemeint, erklärt Chris Dreier, diese klare Ordnung bringe durchaus viele Vorteile. So veröffentlicht das OJAI regelmäßig Jahresberichte, hält minutiös geplante Konferenzen und teilt die Arbeit auf Büros in Berlin und Brüssel auf. „Wir verstehen uns als europäische Einrichtung“, so Chris Dreier, die sich aktuell schwerpunktmäßig mit globalen Finanzströmen beschäftigt. Ein Ergebnis ihrer Recherche: „Die Finanzwelt kommuniziert über spezielle Hochfrequenzleitungen mit Mikrowellentechnik. Das sind die schnellsten Verbindungen der Welt.“ Diese hat die Künstlerin auf einer Weltkarte abgebildet. Ein Kunstwerk, dass auf konkreten Daten basiert.
Foto, Film, Performance
In Kooperation mit dem texanischen Radiosender KUZU 92.9FM produziert OJAI seit 2017 eine monatliche Radiosendung, die in den beiden US-Städten Denton und Dallas ausgestrahlt werden. Die Aufzeichnungen sind anschließend auch in digitaler Form als Podcast abrufbar. Die gesamte visuelle Welt von OJAI wirkt wie ein Blick in vergangene Zeiten, in denen das Digitale noch nicht die Macht übernommen hat. So arbeitet Chris Dreier unter anderem mit einer primitiven Loch-Kamera und sämtliche Schriftstücke der fiktiven Organisation sind mit der Schreibmaschine verfasst. „Auch Listen sind ein großes Thema bei OJAI“, so Chris Dreier.
„Politik fließt mit ein, ist aber nicht unser Hauptanliegen. Reine Politkunst funktioniert meiner Meinung nach nicht.“
2016 gab es eine große OJAI-Ausstellung in der Wuppertaler Galerie Grölle mit dem Titel „Low Hanging Fruit“. Eines der Themen waren damals Fußgängertunnel, die insbesondere in Wuppertal unter dem Aspekt „Angsträume“ diskutiert wurden. Chris Dreier war seinerzeit auch in Wuppertal. Und zwar um den umstrittenen Fußgängertunnel am Döppersberg mit dem unrühmlichen Spitznamen „Harnröhre“ zu verabschieden. „Das wollte ich mir als gebürtige Wuppertalerin einfach nicht nehmen lassen“, so Dreier.
Selbst-Institutionalisierung
Als politische Künstler wollen OJAI nicht verstanden werden. Dennoch: „Politik fließt mit ein, ist aber nicht unser Hauptanliegen. Reine Politkunst funktioniert meiner Meinung nach nicht“, sagt die Künstlerin. Offiziell tritt das Duo als Leiter der Kunstinstitution OJAI auf. Chris Dreier arbeitet in ihrer Funktion als Direktorin für Finanzrecherche und systemisches Risiko, Gary Farrelly ist Direktor für Administratives Erbe, Selbstbestandsaufnahme und politische Ideenbildung. So weit, so theoretisch.
Die nächste Ausstellung ist für Ende Oktober geplant. Es ist die zweite große Ausstellung in der Galerie Grölle. Dort wird dieses Mal ein temporäres Informationscenter eingerichtet, ausgestellt werden ausgesuchte Werke der vergangenen Zeit. Außerdem erwarten die Besucher Performance, Video, Installation, Musik und ein Bingo-Spiel. Den Höhepunkt der Ausstellung mit dem Titel „Know Your Place“ bildet eine Konferenz, für die OJAI andere Künstler eingeladen haben, die einen ähnlichen Ansatz verfolgen. Die European Conference of Institutional Ideators (Ecii) ist ein internationales Zusammentreffen von künstlerischen Projekten, die die Form von überzeugenden erfundenen Institutionen annehmen.
Die Teilnehmer kommen aus Belgien, Holland, England, Österreich, Irland und Deutschland. Das übergeordnete Thema ist die Selbst-Institutionalisierung als künstlerische Strategie. Beispielsweise als eigener Kult, als wissenschaftliche Fachdisziplin, als Vereinigung, Firma oder Organisation. Aber: „Das wird kein akademisches Insidertreffen, sondern ein lebendiges und offenes Kunstevent mit Performances, Videovorträgen, Konzert und DJ-Auftritten“, betont Chris Dreier. Die Idee der Institution als künstlerische Idee solle so der Öffentlichkeit nahegebracht werden. Im Zuge der Ausstellungseröffnung am 18. Oktober wird auch die erste, in limitierter Auflage gepresste Vinyl-LP von OJAI vorgestellt.